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Interview:
Bundesumweltministerin Steffi Lemke

„Der Atomausstieg ist ganz klar ein Sicherheitsgewinn für unser Land.“

Interview: 
Bundesumweltministerin Steffi Lemke

Portrait der Bundesumweltministerin Steffi Lemke
Steffi Lemke, Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz © Bundesregierung/Steffen Kugler

Die letzten drei kommerziellen Atomkraftwerke in Deutschland werden bald abgeschaltet. Warum steigt Deutschland aus, während sich viele europäische Nachbarländer nach wie vor zur Atomenergie bekennen?

Atomkraft und ihre Risiken sind letztlich unbeherrschbar. Der Ausstieg macht unser Land sicherer und vermeidet Atommüll. Das ist von unschätzbarem Wert. Im Übrigen sind wir mit unserem Kurs nicht alleine. Belgien begann 2022 mit dem Atomausstieg und bereits Ende 2025 sollen fünf von vormals sieben Reaktoren abgeschaltet sein. Die Hälfte der EU-Länder hat ohnehin nie auf Atomkraftwerke gesetzt.

Was verbinden Sie persönlich mit Atomenergie und ihrer Nutzung in den vergangenen Jahrzehnten?

Meine Reise nach Belarus in Regionen, die noch Jahre nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl mit den Folgen zu kämpfen hatten, Menschen, die in Sorge um die Gesundheit ihrer Kinder waren und damit auch ziemlich alleine gelassen wurden.

Heute sehen manche in der Atomkraft einen Beitrag zum Klimaschutz, kürzlich hat die EU sie mit Blick auf den Klimaschutz als nachhaltig eingestuft. Wie bewerten Sie diese Entwicklungen?

Atomkraft ist weder CO2-frei noch die CO2-ärmste Art der Stromerzeugung. Erst recht ist sie nicht nachhaltig – sondern kann zu verheerenden Umweltkatastrophen führen und hinterlässt große Mengen an gefährlichen hochradioaktiven Abfällen. Ich halte diesen Einstufungsansatz der EU-Kommission bekanntlich für einen schweren Fehler. Atomkraft als nachhaltig zu bezeichnen,
widerspricht auch dem Nachhaltigkeitsverständnis der Verbraucher und Verbraucherinnen. Nicht umsonst gab es in der EU breite Kritik an dem Beschluss.

Der Ausstieg aus der Atomkraft bedeutet ja auch den Abschied von einer Hochrisikotechnologie. Was bedeutet das für die Sicherheit in Deutschland?

Der Atomausstieg ist ganz klar ein Sicherheitsgewinn für unser Land. Das gilt aktuell umso mehr, als wir zum ersten Mal erleben, dass ein Staat nicht davor zurückschreckt, Atomkraftwerke militärisch anzugreifen und zu beschießen. In einer Krise wie dieser können uns Hochrisikoanlagen wie AKW noch verwundbarer machen.

Der Schutz vor den Gefahren der Atomenergie bleibt auch weiterhin ein wichtiges Thema. Welche Ziele verfolgen Sie im Bereich der nuklearen Sicherheit?

Hierzulande gilt es, die Atomkraftwerke sicher zurückzubauen und für den Atommüll eine dauerhafte Lösung zu finden, ihn in ein Endlager zu bringen. Das bleibt eine große, gesamtgesellschaftliche Aufgabe. In Europa stehen wir vor dem immer drängenderen Problem zunehmender AKW-Überalterung. Atomkraftwerke weit über ihre ursprüngliche Konzeptionsdauer hinaus zu betreiben, ist zwangsläufig mit zusätzlichen Risiken verbunden. Denn AKW lassen sich höchstens punktuell nachrüsten, nicht umfassend. Diesen Überalterungsbetrieb halte ich für höchst problematisch.

Warum ist es so wichtig, die Atomabfälle dauerhaft sicher in einem Endlager unterzubringen?

Hochradioaktiver Atommüll ist eine der gefährlichsten Hinterlassenschaften der Menschheit und bleibt das dreißigtausend Generationen lang. Wir brauchen dafür zügig eine Lösung, die die Abfälle dauerhaft vor Missbrauch, Anschlägen und Unfällen schützt und verhindert, dass Radioaktivität freigesetzt wird. Zuverlässig und robust geht das über diese lange Zeit nur mit einem Endlager, das unabhängig von der menschlichen Zivilisation funktioniert. Nur die Geologie kann den notwendigen Schutz leisten.

Die Frage nach dem „Wohin mit dem Atommüll?“ bleibt offen. Was wünschen Sie sich für die Endlagersuche ich Deutschland?

Dass sie erfolgreich ist. Es ist eine historische Kraftanstrengung, für hochradioaktiven Atommüll eine verantwortbare dauerhafte Lösung zu finden. Noch nirgends auf der Welt ist ein solches Endlager in Betrieb. Bei Atommüll gibt es nie bequeme und einfache Antworten. Wahr ist aber auch: Unser Verfahren ist gut und verdient Vertrauen. Damit haben wir die Chance auf eine tragfähige und verantwortbare Lösung. Wichtig ist, dass alle in politischer Verantwortung, die dieses Verfahren beschlossen haben, ihm weiter den nötigen Rückhalt geben. Der breite politische Konsens, der die Endlagersuche trägt, muss lebendig gehalten werden, damit sie funktioniert.

Stand: 04.11.2022