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Alternative Reaktortypen und die Zukunft der nuklearen Entsorgung: Das BASE diskutiert mit Expert:innen auf der IAEO-Generalkonferenz

Salzschmelzenreaktoren, Gasgekühlte Schnelle Reaktoren und Small Modular Reactors (SMR) – seit mehreren Jahren ist international ein gestiegenes Interesse an sogenannten „neuartigen“ oder „alternativen“ Reaktorkonzepten zu beobachten.

Alternative Reaktortypen und die Zukunft der nuklearen Entsorgung: Das BASE diskutiert mit Expert:innen auf der IAEO-Generalkonferenz

Bereits 2001 wurde das Generation IV International Forum (GIF) gegründet, in dem mehrere Staaten gemeinsam an der Forschung und Kommerzialisierung alternativer Reaktorkonzepte arbeiten. Hierzu zählen unter anderem China, die Vereinigten Staaten und Mitglieder der Europäischen Union. Im Vergleich zu konventionellen Leichtwasserreaktoren (LWR) versprechen sich Förderer dieser Technologien niedrigere Kosten, eine höhere Sicherheit und Proliferationsresistenz sowie eine reduzierte Abfalllast.

Doch gerade in Bezug auf Entsorgungsfragen werfen alternative Reaktorkonzepte zahlreiche Fragen auf: Welche Abfallströme erzeugen diese Reaktoren? Welche Herausforderungen sind damit verbunden? Und welche Lehren für den zukünftigen Umgang mit alternativen Reaktoren können wir aus vergangenen Erfahrungen in der nuklearen Entsorgung ziehen?

Diskussion mit Expert:innen am Rande der Generalkonferenz der IAEO

Die kritische Auseinandersetzung mit diesen Fragen stand im Mittelpunkt des Expert:innenpanels „New Reactor Types and the Future of Nuclear Waste Management: Opportunities, Challenges and Risk“. Das BASE lud hierzu auf der diesjährigen 67. Generalkonferenz der Internationalen Atomenergie Organisation (IAEO) ein. Die Generalkonferenz, auf der Delegierte aller IAEO-Mitgliedsstaaten jährlich in zentralen Fragen der nuklearen Sicherheit und Sicherung verhandeln, bot dabei den idealen Rahmen. Vor mehr als 60 Vertreter:innen von Mitgliedsstaaten und IAEO konnte eine wissenschaftsbasierte Debatte zu Entsorgungsfragen im Hinblick auf neuartige Reaktorkonzepte angestoßen werden.

Die Verwirklichung dieses Anliegens gelang vor allem dank eines diskussionsfreudigen Expert:innenpanels, das sich aus international anerkannten Wissenschaftler:innen zusammensetzte:

  • Professor Allison Macfarlane von der University of British Columbia brachte zum einen langjährige Forschungserfahrung im Bereich der Entsorgungssicherheit mit. Zum anderen konnte sie durch ihre frühere Tätigkeit als Leiterin der US-amerikanischen Nuclear Regulatory Commission auch ihre Erfahrungen aus der Politik teilen.
  • Professor MV Ramana, ebenfalls von der University of British Columbia, steuerte seine umfassende Expertise zu wirtschaftlichen Aspekten neuartiger Reaktortypen bei.
  • Abgerundet wurde das Panel durch Dr. Christoph Pistner vom Öko-Institut, der bereits mehrere Gutachten zu sicherheitstechnischen Fragen neuartiger Reaktorkonzepte verfasst hatte.
  • Jochen Ahlswede, Leiter der Abteilung Forschung/Internationales am BASE, moderierte das Panel.

Erkenntnisse aus der Diskussion

Der angeregte Austausch brachte einige zentrale Erkenntnisse hervor:

1. Alternative Reaktortypen erhöhen die Komplexität der nuklearen Entsorgung.

Anders als oft behauptet bieten alternative Reaktortypen keine einfache Lösung für die nukleare Abfallproblematik. Ganz im Gegenteil: Die nukleare Entsorgung wird im Falle des Einsatzes alternativer Konzepte sogar noch an Komplexität gewinnen.

Die Reaktorkonzepte, an denen zurzeit geforscht wird, weisen im Hinblick auf die verwendeten Brennstofftypen und Kühlmittel grundlegende Unterschiede auf. Deren Herausforderungen lassen sich zwar nur schwer verallgemeinern. Doch die Vielzahl an Konzepten wird perspektivisch die Anzahl und Art der Abfallströme erhöhen, was wiederum unerprobte Behandlungsformen erfordert. Die Entstehung komplexerer Abfallströme könnte auch das erhöhen, dass Unbefugte Zugang zu radioaktiven Stoffen erhalten. Trotz verschiedener Ansätze zur Wiederverwertung abgebrannter Brennstoffe bietet zudem keines der Konzepte eine Lösung des grundlegenden Entsorgungsproblems. Die Notwendigkeit eines tiefengeologischen Endlagers bleibt.

2. Viele zukünftige Risiken lassen sich aufgrund des frühen Entwicklungsstadiums der Konzepte noch gar nicht abschätzen.

Anders als die Begriffe „neuartig“ oder „alternativ" vermuten lassen, werden viele der alternativen Konzepte bereits seit Jahrzehnten verfolgt. Die Forschung an Salzschmelzenreaktoren etwa reicht bis in die 1960er Jahre zurück. Dennoch ist ein Großteil der Konzepte nach wie vor weit entfernt von der kommerziellen Anwendung. Entsprechend herrscht auf Basis des derzeitig verfügbaren Wissenstandes noch große Ungewissheit. Es lässt sich nur schwer sagen, welche zusätzlichen Herausforderungen für die nukleare Entsorgung noch aufkeimen könnten.

Umso problematischer sind angesichts der fortwährenden Ungewissheit die Versprechen von Förderern dieser Technologien, dass alternative Reaktorkonzepte Abfallströme reduzieren und somit die Entsorgung erleichtern.

3. Einen klaren „Klassenbesten“ unter alternativen Reaktorkonzepten gibt es derzeit nicht.

Die Frage, welches der in Entwicklung befindlichen Reaktorkonzepte am meisten Potenzial bietet und stärker gefördert werden sollte, lässt sich schwer beantworten. Noch hat sich keines der neuen Konzepte in der Praxis bewährt. So bleibt offen, ob SMR-Konzepte gegenüber konventionellen Leichtwasserreaktoren (LWR) tatsächlich eine geringere Abfalllast und eine höhere Sicherheit aufweisen.

Diese Erkenntnis deckt sich auch mit einem Fazit eines Berichts der US-amerikanischen National Academies of Sciences, Engineering and Medicine aus dem Jahr 2023. Demnach müssten alternative Reaktorkonzepte zunächst die Entwurfsphase abschließen und sich im tatsächlichen Betrieb bewähren. Davor sei es unmöglich, „die zahlreichen Trade-Offs der verschiedenen Designkonzepte zu verstehen und einen ‚Klassenbesten‘ zu wählen“ (NASEM 2022, p. 55).

4. SMR bieten Entwicklungsländern keinen niedrigschwelligen, sicheren Einstieg in die Kernenergie.

Befürworter werben häufig mit dem Argument, dass die angeblich kostengünstigen, emissionsarmen SMR-Konzepte gerade in Entwicklungsländern die Energieversorgung sichern könnten. Doch für Entwicklungsländer ist es zurzeit deutlich vielversprechender in bereits existierende erneuerbare Energien statt in unerprobte Reaktoren zu investieren.

Fazit

Zusammengefasst ließ sich aus der Veranstaltung am Rande der Generalkonferenz also vor allem eine Botschaft mitnehmen: Im Hinblick auf die nukleare Sicherheit werfen alternative Reaktorkonzepte mehr Fragen auf, als dass sie Antworten geben.
Umso wichtiger ist es, auf internationaler Ebene einen wissenschaftsbasierten zu führen, der auch die möglichen Probleme dieser Technologien beleuchtet.

SMR und alternative Reaktorkonzepte erfahren derzeit einen beispiellosen Zulauf. Dies zeigten auch die vielen themenbezogenen Side Events auf der Generalkonferenz, deren Titel die Versprechen dieser Reaktoren aufgriffen: „SMART SMR Demonstration Project: Towards a Low-Carbon Future with Global Partners“ oder „Fast Future of Small and Medium Sized Reactors“.

In diesem Umfeld gelang es dem Expert:innenpanel des BASE, ein komplexeres Bild zu zeichnen. Es konnte eine fachliche Basis für zukünftige Debatten zu Entsorgungsaspekten alternativer Reaktorkonzepte geschaffen werden.

Bei Rückfragen und für weitere Informationen wenden Sie sich gerne an:

Kontakt

Dr. Ingo Kock , Leitung Fachgebiet F 4, Forschung zu Sicherheitsanalytik und -methodik

E-Mail ingo.kock@base.bund.de

Stand: 08.01.2024