BASE-Fachstellungnahme zur EU-Taxonomie
Die Europäische Kommission hat am 2. Februar 2022 den Delegierten Rechtsakt zur Klassifizierung der Atomenergie nach der Verordnung (EU) 2020/852 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2020 (kurz: Taxonomie-Verordnung) vorgelegt. Das BASE hat eine fachliche Bewertung des Delegierten Rechtsakts vorgenommen.
Zum Jahreswechsel 2022/2023 ist der Delegierte Rechtsakt (Delegated Act, kurz DA) zur Klassifizierung der Atomenergie nach der Verordnung (EU) 2020/852 des Europäischen Parlaments und des Rates (kurz: Taxonomie-Verordnung) in Kraft getreten. Die Atomkraft wird durch die Taxonomie unter bestimmten Bedingungen als nachhaltige Energieerzeugungsform eingestuft. Dieser Entscheidung vorausgegangen war eine mehrjährige intensive Debatte. Aus fachlicher Sicht urteilte das BASE in dieser Frage, dass die Aufnahme von Atomkraft in die Taxonomie-Verordnung nicht haltbar ist. Die entsprechenden BASE-Stellungnahmen finden Sie im Folgenden.
Interview: Warum ist Atomkraft nicht nachhaltig?
Jochen Ahlswede, Leiter der Abteilung Forschung des BASE, beantwortet im Video die Frage, warum Deutschland die Atomkraft nicht als nachhaltig anerkennt.
Hintergrund: EU-Taxonomie und die Bewertung der Atomkraft
Die Europäische Kommission hat am 2. Februar 2022 den Delegierten Rechtsakt (Delegated Act, kurz DA) zur Klassifizierung der Atomenergie nach der Verordnung (EU) 2020/852 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2020 (kurz: Taxonomie-Verordnung) vorgelegt. Dem vorausgegangen war eine mehrjährige, intensive Debatte um die Frage, ob Atomkraft durch die Taxonomie unter bestimmten Bedingungen als nachhaltige Energieerzeugungsform einzustufen wäre.
Mit Blick auf die Nutzung von Atomenergie definiert der DA nun drei Wirtschaftstätigkeiten, die ökologisch nachhaltig im Sinne der Taxonomie-Verordnung sein sollen und stellt technische Bewertungskriterien für diese Tätigkeiten auf. Die drei Tätigkeiten sind:
- Forschung und Entwicklung (F&E) sowie
- Einsatz von sog. „advanced technologies“ im Nuklearbereich,
- Bau und Betrieb von neuen sowie Anpassung bestehender Anlagen zwecks Laufzeitverlängerung.
Die Erwägungsgründe des delegierten Rechtsakts sehen in der Atomenergie eine mögliche Übergangstechnologie, die unter „strengen Bedingungen“ und für „eine begrenzte Zeit“ den Übergang zu einem nachhaltigen Energiesystem ermöglichen kann. Der DA wurde allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zugestellt. Er soll am 1.1.2023 in Kraft treten. Die Mitgliedstaaten sowie das Europäische Parlament haben die Möglichkeit innerhalb einer Frist von vier Monaten den DA mit Mehrheitsbeschlüssen abzulehnen.
Aufbauend auf der Fachstellungnahme des BASE vom Juni 2021 zum Bericht des Joint Research Centers der Europäischen Kommission in dieser Sache (Stellungnahme 2021) und auf der fachlichen Bewertung des ersten Entwurfs des DA (2021/2139) (Stellungnahme 2022), hat das BASE eine fachliche Bewertung des DA vorgenommen:
Inhalt der Fachstellungnahme des BASE
Das BASE kommt aus fachlicher Sicht zu dem Schluss, dass die Aufnahme von Atomkraft in die Taxonomie-Verordnung nicht haltbar ist. Gründe hierfür sind unter anderem:
- Atomenergie verletzt zentrale Nachhaltigkeitsziele, weil sie insbesondere das „Do no significant harm“ Kriterium nicht erfüllt. Die vorgelegten technischen Bewertungskriterien führen nicht dazu, dass Atomenergie den DNSH Kriterien gerecht wird. Viele der vorgelegten technischen Bewertungskriterien werden in Form von Plänen definiert (z. B. für die Entsorgung radioaktiver Abfälle und Finanzen). Die Kommission geht davon aus, dass das Vorhandensein von Plänen ausreicht, um die Einhaltung der DNSH-Kriterien nachzuweisen.
- Bei der Klassifizierung der Atomenergie lässt die Kommission nachhaltigkeitsrelevante Themen außer Acht, wie Uranabbau, Transport oder die Risiken der Proliferation.
- Der Einsatz von Atomkraft wird weit über das Jahr 2100 hinaus begünstigt. Dies ist in jedem Fall mit dem Ansatz einer Übergangtechnologie nicht mehr kompatibel.
- Die nukleare Sicherheit beim Neubau und bei Laufzeitverlängerungen von wird unzureichend berücksichtigt. Die Forderungen nach technischen Innocationen wie „accident-tolerant fuels“ und der „best available technologies“ bleiben unspezifisch.
- Nutzung und Ausbau der Atomenergie gehen mit grenzüberschreitenden Risiken einher, die auch erhebliche negative Auswirkungen auf die Bundesrepublik Deutschland haben können. Durch die Problematik der limitierten Betreiberhaftung in Europa wäre im Falle solcher Unfälle das Verursacherprinzip verletzt.
- Grundsätzlich kann nicht ausgeschlossen werden, dass es durch Stör- und Unfälle bzw. durch sonstige Einwirkung Dritter beim Betrieb von zu erheblichen Umweltauswirkungen kommen kann.
Schlussfolgerung
Vor dem Hintergrund der in der Stellungnahme dargestellten Sachverhalte kommt das BASE zu dem Schluss, dass aus fachlicher Sicht dem Delegierten Rechtsakt in Hinblick auf die Nutzung von Atomenergie gemäß Art. 23 Abs. 6 der Verordnung widersprochen werden sollte.
Stand: 17.05.2022