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Nukleare Sicherheit
Zwischenlagerung / Transport
Endlagersuche
Die Debatte um verlängerte AKW-Laufzeiten
Quelle: picture alliance / Daniel Kubirski | Daniel Kubirski
Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine sorgte in Deutschland u.a. für eine neue Debatte über die Energieversorgung und die damit einhergehende Versorgungssicherheit mit Gas. Deutschland war bislang in hohem Maße von fossilen Brennstoffen aus Russland abhängig.
Das Bundeskabinett beschloss am 19.10.2022 den Entwurf für eine 19. Atomgesetznovelle. Der Bundestag hat die 19. Atomgesetznovelle am 11.11.2022 mit 375 Ja-, 216 Nein-Stimmen und 70 Enthaltungen verabschiedet (661 abgegebene Stimmen). Der beschlossene Gesetzentwurf schuf die atomrechtlichen Voraussetzungen für einen befristeten Streckbetrieb der Atomkraftwerke Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim 2.
Der Gesetzentwurf schreibt vor, dass für den weiteren Leistungsbetrieb der Anlagen nur die in der jeweiligen Anlage noch vorhandenen Brennelemente zu nutzen waren. Der Einsatz neuer Brennelemente war nicht zulässig. Am 15. April 2023 haben diese drei Kraftwerke ihren Leistungsbetrieb eingestellt. Aufgrund des kurzen Zeitraums von maximal dreieinhalb Monaten zusätzlichen Leistungsbetriebs war für den Weiterbetrieb keine Periodische Sicherheitsüberprüfung vorzulegen. Der Staat übernahm keine Kosten für diesen Streckbetrieb. Der Gesetzentwurf bekam Ende November auch die Zustimmung des Bundesrates. Zur Pressemitteilung des BMUV
Zum Hintergrund
Prüfung einer Laufzeitverlängerung
Im Zuge dieser Debatte hatte die Bundesregierung Anfang März 2022 geprüft, ob eine Verlängerung der Laufzeiten der noch im Betrieb befindlichen drei Atomkraftwerke in Deutschland umsetzbar wäre und inwiefern diese Verlängerung zur Energiesicherheit beitragen könnte. Im Ergebnis einer Abwägung von Nutzen und Risiken wurde im März 2022 eine Laufzeitverlängerung zunächst abgelehnt (zum Prüfvermerk des Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) und BMUV).
Stresstest: Analyse der Stromversorgung
Die Bundesregierung hatte dann einen sogenannten Stresstest in Auftrag gegeben, der im Zeitraum von Mitte Juli bis Anfang September 2022 durchgeführt wurde. Die vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber analysierten im Rahmen dieses Stresstests die voraussichtliche Versorgungslage mit Strom im nächsten Winter unter verschärften Annahmen. Sicherheitsaspekte waren im Gegensatz zu dem Prüfvermerk nicht Gegenstand der Betrachtung.
Im Ergebnis ist laut BMWK eine stundenweise krisenhafte Situation im Stromsystem im Winter 2022/23 zwar sehr unwahrscheinlich, kann aktuell aber auch nicht vollständig ausgeschlossen werden. Der Beschluss des Bundeskabinetts vom 19.10.2022 beruht u.a. auf diesem Stresstest.
Die Leiterin der Abteilung Nukleare Sicherheit im BASE Dr. Mareike Rüffer beantwortet im Video u.a. die Frage, welche zentrale Rolle der Stand von Wissenschaft und Technik bei einer Periodischen Sicherheitsüberprüfung, die gerade im Zuge der diskutierten AKW-Laufzeitverlängerung von Bedeutung ist, einnimmt (Stand Juli 2022).
Im Zentrum stehen Sicherheitsfragen
Das BASE hat den gesetzlichen Auftrag, die Sicherheit von nuklearen Anlagen und nuklearen Abfällen stets im Blick zu behalten. Dementsprechend stehen für unsere Bewertung in der Debatte die Sicherheitsaspekte im Vordergrund. Die Nutzung von Atomenergie erzeugt für Mensch und Umwelt bereits im Normalbetrieb Hochrisikostoffe und hinterlässt langfristig hochgiftige und strahlende Abfälle. Von der Gewinnung des Rohstoffes Uran, über die Herstellung des Brennstoffs, den Betrieb von Atomkraftwerken bis zur Entsorgung müssen über den gesamten Lebenszyklus hinweg hohe Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden, um die Risiken für Mensch und Umwelt zumindest zu reduzieren und den Missbrauch zu verhindern.
Was macht Atomkraft zu einer Hochrisikotechnologie?
In einem Atomreaktor wird Energie durch Kernspaltung produziert. Bei der Spaltung eines Atomkerns entsteht in der Größenordnung bis zu 100.000.000-mal mehr Energie als bei einer herkömmlichen Verbrennungsreaktion. Zur Kontrolle dieser großen, konzentrierten Energiemengen sind komplexe Sicherheitskonzepte, -systeme und -maßnahmen notwendig. Ein folgenschwerer Unfall mit katastrophalen Folgen für Mensch und Umwelt durch Verlust von Kontrolle über das Kraftwerk kann nie komplett ausgeschlossen werden. Das Ziel aller Sicherheitsmaßnahmen ist daher eine Minimierung des Unfallrisikos.
Stand von Wissenschaft und Technik elementar für die Schadensvorsorge
Die Analysen früherer Reaktorkatastrophen wie der von Fukushima haben gezeigt, dass schwere nukleare Unfälle auch geschehen können, obwohl alle Beteiligten der Überzeugung sind, alles für die Sicherheit des Kraftwerks getan zu haben, um eine solche Katastrophe auszuschließen. Die Aufarbeitung der Reaktorkatastrophe von Fukushima in Japan zeigte, dass Japan aufgrund der bis dahin weit verbreiteten Einschätzung, ein solch katastrophaler Unfall sei undenkbar, nicht ausreichend auf den Unfall vorbereitet war. Das deutsche Atomgesetz fordert daher, dass regelmäßig kritisch die jeweils gültige Sicherheitsarchitektur hinterfragt werden muss.
Die Anforderungen an den Nachweis der Sicherheit erhöhen sich kontinuierlich und müssen mit der wissenschaftlichen und technischen Entwicklung schritthalten. Lassen sich neue wissenschaftliche Erkenntnisse, die für den Schutz von Bevölkerung und Umwelt für erforderlich gehalten werden, technisch noch nicht verwirklichen, darf z.B. eine Neugenehmigung für den Betrieb eines Atomkraftwerks nicht erteilt werden. Für in Betrieb befindliche Atomkraftwerke müssen technische Anpassungen an die neuesten Sicherheitsentwicklungen alle zehn Jahre durch eine periodische Sicherheitsüberprüfung bestimmt und durchgeführt werden. Ziel ist, die nukleare Sicherheit der Anlage kontinuierlich zu verbessern. Die an Atomkraftwerke gestellten Anforderungen sind damit höher als an konventionelle Kraftwerke.
Weiterbetrieb: Abstriche bei der Sicherheit?
Für eine Laufzeitverlängerung müssen Kraftwerke nach Vorgabe des Gesetzes ein höheres Sicherheitsniveau erfüllen. Wie dieses konkret aussieht und welche Maßnahmen und Nachrüstungen notwendig sind, um die nukleare Sicherheit der Anlage kontinuierlich zu verbessern, wird normalerweise mithilfe einer periodischen Sicherheitsüberprüfung bestimmt.
Seit 2014 gelten bei der Erteilung neuer Genehmigungen auch europaweit erhöhte Anforderungen an die Sicherheit von Atomkraftwerken. Denn auch unsere Nachbarn haben einen Anspruch darauf, vor den Gefahren deutscher Atomkraftwerke möglichst gut geschützt zu werden.
Krieg in der Ukraine verschärft Sicherheitslage atomarer Anlagen
Reaktorkatastrophen der vergangenen Jahrzehnte ereigneten sich bisher in Friedenszeiten: Die Unfälle in westlichen Reaktortypen (Windscale in Großbritannien in den 1950ern, Harrisburg in den USA 1979), die Explosion eines Reaktors sowjetischer Bauart in Tschernobyl im Jahr 1986 und schließlich die Reaktorkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011. Letztere führte in Deutschland zum parteiübergreifenden Beschluss für den Atomausstieg bis zum Jahr 2022. Mit dem 11. September 2001 ist außerdem deutlich geworden, dass auch terroristische Aktivitäten konkrete Bedrohungslagen darstellen können, was zu einer Verschärfung von Sicherheitsauflagen für nukleare Anlagen führte. Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine sind jedoch Szenarien eingetreten, die bisher als kaum realistisch galten. Das Risiko katastrophaler Unfälle hat sich nochmals verschärft.
Atomanlagen sind nicht gegen kriegerische Angriffe ausgelegt
Mit dem Krieg in der Ukraine sind zivile kerntechnische Anlagen zum ersten Mal indirekt zum Ziel kriegerischer Auseinandersetzungen geworden. Kerntechnische Anlagen können gegen diese Form der Bedrohung nicht ausgelegt werden. Russlands Angriffskrieg macht deutlich, dass internationale Regeln, die Kriegshandlungen rund um Atomkraftwerke untersagen, nur so lange Bestand haben können, wie sich alle Akteure daran gebunden fühlen. Atomanlagen werden in derartigen Fällen zu einer besonderen Bedrohung. Ihre Nutzung ist in vielen Atomstaaten zudem eng mit dem militärischen Gebrauch verbunden. Die militärische Nutzung, sei es durch Nuklearwaffen oder auch indirekt durch Beschuss einer Anlage, stellt eine Erhöhung der Risiken für eine Gesellschaft dar.
Kurzfristiger Nutzen vs. erhöhte Sicherheitsrisiken
Letztendlich ist es eine gesellschaftspolitische Entscheidung, ob die kurzfristige Versorgungssicherheit höher gewertet wird als der langfristige und weitreichende Schutz von Mensch und Umwelt. Aus fachlicher Sicht kann die Laufzeitverlängerung weniger Reaktoren mit einem Stromanteil von 6 Prozent letztendlich nur einen sehr geringen Beitrag an der Energieversorgung leisten.
Gesellschaftliche Risiken
Darüber hinaus birgt eine Laufzeitverlängerung auch gesellschaftliche Risiken. Denn der Atomausstieg ist die zentrale Grundlage für die 2017 neugestartete Endlagersuche für die hochradioaktiven Abfälle in Deutschland.
Mit dem Ausstiegsbeschluss 2011 wurde einerseits die zu entsorgende Abfallmenge klar begrenzt. Die Anforderung hinsichtlich der Größe des Endlagers wurde dadurch definierbar – eine wesentliche Basis für die Glaubwürdigkeit des Verfahrens und die Akzeptanz eines zukünftigen Standortes. Darüber hinaus wurde mit dem Ausstiegsbeschluss ein gesellschaftlicher Großkonflikt befriedet. Die Endlagersuche ist nicht länger die Voraussetzung (der sogenannte Entsorgungsnachweis) für den Weiterbetrieb oder den Neubau von Atomkraftwerken. Stattdessen ist die Endlagersuche der notwendige letzte Schritt zur Vollendung des Atomausstiegs. Eine langfristige Laufzeitverlängerung könnte den gesellschaftlichen Konflikt wiederbeleben und den parteiübergreifenden Konsens infrage stellen.
Fragen und Antworten
Warum ist Deutschland aus der Atomenergie ausgestiegen?Einklappen / Ausklappen
Sicherheitsrisiken in der Nutzung der Atomkraft
Die entscheidenden Gründe für den Ausstieg aus dieser Technik sind die mit der Nutzung verbundenen Sicherheitsrisiken:
- Gefahr von großen Unfällen mit einem erheblichen Austritt an Radioaktivität, z.B. durch Störfälle in der Anlage oder durch terroristische und kriegerische Angriffe von außen,
- hohe sicherheitstechnische Anforderungen im Betrieb und bei der späteren dauerhaft sicheren Lagerung radioaktiven Materials,
- zivile Nutzung von Atomkraft ist in vielen Staaten eng mit der Option verbunden, diese auch militärisch nutzen zu können.
Katastrophale Unfälle
- Der bis heute leitende Bundestagsbeschluss zum Atomausstieg erfolgte bereits im Jahr 2002, geprägt von den Erfahrungen der Katastrophe von Tschernobyl.
- Auslöser für den parteiübergreifenden Beschluss im Deutschen Bundestag – und die Entscheidung für den endgültigen Atomausstieg – war die Nuklearkatastrophe in Fukushima vom 11. März 2011. Die Ereignisse in Japan lösten eine gesellschaftspolitische Debatte über die weitere Nutzung der Atomenergie aus. Der Atomausstieg wurde gesamtgesellschaftlich in der Mehrheit befürwortet.
Welchen Anteil haben Atomkraftwerke an der Energieversorgung in Deutschland?Einklappen / Ausklappen
Sinkender Anteil der Atomenergie an der Stromproduktion
Seit dem Beschluss zum Ausstieg aus der Atomenergienutzung hat sich der Anteil der Atomenergie an der Stromproduktion in Deutschland immer weiter verringert: Er sank von 31 Prozent im Jahr 2000 auf 11 Prozent im Jahr 2021. Die drei Atomkraftwerke Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 haben vor ihrer Abschaltung Mitte April 2023 ca. 6 Prozent zur Stromproduktion beigetragen. Der Rückgang der Bedeutung der Atomenergie zeigt sich auch weltweit. Der Anteil ist von 18 Prozent 1996 auf zehn im Jahr 2021 gesunken.
Kann bei Gasengpässen Atomstrom Gas ersetzen?Einklappen / Ausklappen
Deutschland ist aktuell insbesondere bei Gas von Russland abhängig. Gas wird in Deutschland überwiegend zur Wärmeerzeugung für Industrie und Privathaushalte eingesetzt und nicht primär für die Stromproduktion. Die Stromproduktion durch Gas erfolgt in Gaskraftanlagen, wo durch Gasverbrennung Strom erzeugt wird. Bei der Stromerzeugung kann Atomstrom Gas nur in einem sehr geringen Umfang ersetzen.
Ist ein langfristiges Weiterlaufen der Reaktoren unter sicherheitstechnischen Aspekten möglich? Einklappen / Ausklappen
Eine langfristige Laufzeitverlängerung der drei verbliebenen Reaktoren wäre mit erheblichem zusätzlichem Aufwand und Kosten verbunden. Sie werden seit 20 Jahren auf ihre im Dezember 2022 bevorstehende Abschaltung hin betrieben. Das bedeutet:
Fehlende Sicherheitsaktualisierungen
Wichtige Sicherheitsaktualisierungen, wie etwa die Modernisierung der IT oder Sicherheitsüberprüfungen, wurden nicht mehr umgesetzt. Sicherheitsüberprüfungen sind alle zehn Jahre verpflichtend vorgeschrieben und wurden zuletzt 2009 durchgeführt.
Begrenzte Menge an Brennstoff
Die Reaktoren verfügen nur über begrenzte Mengen an Brennstoff. Um sie langfristig, also über den Streckbetrieb hinaus, betreiben zu können, müssten sie neue Uranbrennelemente beziehen.
Begrenzt vorhandenes Personal
Geschultes Personal ist in der Branche schwer zu finden. Mit dem lang im Voraus geplanten Ausstieg wird sich entsprechendes Personal 2023 entweder bereits im Ruhestand befinden oder mit anderen Fragen wie der nuklearen Entsorgung betraut sein.
Wäre eine Wiederinbetriebnahme der Ende 2021 abgeschalteten Atomkraftwerke möglich?Einklappen / Ausklappen
Für die am 31.12.2021 abgeschalteten Anlagen ist die Berechtigung zum Leistungsbetrieb aufgrund der gesetzlichen Regelung erloschen. Ein Betrieb könnte nur aufgrund einer gesetzlichen Aufhebung des Erlöschens und einer gesetzlichen Laufzeitverlängerung erfolgen. Diese Entscheidungen des Gesetzgebers kämen hier einer "Neugenehmigung" gleich.
Ein derartiges Gesetz ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts inhaltlich und verfahrensrechtlich weitgehend wie eine entsprechende behördliche Entscheidung zu behandeln. Der Bundestag müsste die ähnlichen Verfahrensschritte einschließlich Öffentlichkeitsbeteiligung und Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) dann selbst vornehmen. Insbesondere ist es im Hinblick auf den grundrechtlich geschützten Anspruch auf die bestmögliche Schadensvorsorge erforderlich, den aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik der Nachweisführung zugrunde zu legen. Demnach müsste auch nachgewiesen werden, dass die Auswirkungen von Kernschmelzunfällen auf das Anlagengelände begrenzt werden können. Dieser Standard, den zum Beispiel der AKW-Typ EPR umsetzt, ist durch Nachrüstungen nicht zu erreichen. Das Bundesverfassungsgericht hat für Neugenehmigungen entschieden, dass dann, wenn die nach theoretischen wissenschaftlichen Konzepten erforderliche Schadensvorsorge praktisch nicht erreicht werden kann, die Genehmigung für ein Atomkraftwerk nicht erteilt werden darf. Es ist deshalb sehr wahrscheinlich, dass ein die Genehmigung ersetzendes Gesetz bereits im Eilverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht aufgehoben würde. (Quelle: BMUV)
Können periodische Sicherheitsüberprüfungen (PSÜ) im laufenden Betrieb gemacht werden?Einklappen / Ausklappen
Während des laufenden Betriebs wird eine kerntechnische Anlage ständig durch die Atomaufsichtsbehörde überwacht. Über die Zeit finden aber bauliche Veränderungen statt und betriebliche Abläufe ändern sich. Das sind oft viele Einzelmaßnahmen, die in der Regel nicht als Gesamtpaket angeschaut werden. Die periodische Sicherheitsüberprüfung (PSÜ) bewertet das Sicherheitskonzept und die Änderungen in der Gesamtschau.
Bei einer PSÜ handelt es sich um sehr umfangreiche und zeitintensive Prüfungen, bei der das jeweilige Atomkraftwerk alle 10 Jahre komplett auf „Herz“ und „Nieren“ geprüft wird. Dies geht weit über die tägliche, aufsichtliche Begleitung hinaus. In der Vergangenheit dauerte die Bearbeitung aller Prüfanforderungen durch den Betreiber etwa zwei Jahre. Die Ergebnisse, die zu einem Stichtag bei der Aufsichtsbehörde eingereicht wurden, wurden durch diese dann nochmals mehrere Jahre geprüft und bewertet. Dies wurde begleitend zum Anlagenbetrieb durchgeführt.
Im derzeit vorliegenden Fall für die drei noch laufenden AKW besteht der Unterschied jedoch darin, dass die PSÜ bereits mehrere Jahre überfällig ist. Die letzte PSÜ fand 2009 statt, die für 2019 anstehende wurde mit Blick auf den Atomausstieg am 31.12.2022 ausgesetzt. Auch die notwendigen vorbereitenden Arbeiten wurden durch die Betreiber mit Blick auf das Abschaltdatum Ende 2022 nicht mehr durchgeführt.
Sollten die AKW bei einer möglichen Laufzeitverlängerung ohne Unterbrechung weiterlaufen, würden die Anlagen bei einer betriebsbegleitenden PSÜ durch die langwierigen Arbeiten, die der Betreiber zunächst durchführen müsste, ggf. bis zu zwei Jahre mit nicht erkannten Defiziten weiterlaufen. Dies widerspricht dem Gebot, dass Atomkraftwerke höchsten Sicherheitsansprüchen auf dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik genügen müssen und würde Sicherheitsabstriche bedeuten.
Was umfasst der durchgeführte Stresstest? Einklappen / Ausklappen
Die Bundesregierung ließ im Frühjahr 2022 eine Prüfung für das Stromnetz durchführen. Diese Prüfung hatte das Ergebnis, dass die Atomkraft nicht benötigt wird, um die Versorgungssicherheit zu garantieren. Im Juli 2022 gab die Bundesregierung einen weiteren Belastungstest für das deutsche Stromnetz in Auftrag, der von den vier Übertragungsnetzbetreibern im Zeitraum von Mitte Juli bis Anfang September 2022 durchgeführt wurde. Die Ergebnisse wurden am 5. September vorgestellt. Mehr zum Stresstest: Ergebnisse & Empfehlungen des BMWK
Der Stresstest prüfte die Versorgungssicherheit mit Strom im nächsten Winter unter verschärften Annahmen. Dafür wurden die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs auf den Energiemarkt deutlich verschärft und stufenweise hochskaliert. Zusätzlich berücksichtigen die Berechnungen weitere mögliche Engpässe in der Kraftwerksverfügbarkeit, etwa auch den Zustand der französischen AKW. Die für einen eventuellen Weiterbetrieb ebenfalls notwendige nukleare Sicherheit der Atomkraftwerke wurde in dieser Prüfung nicht betrachtet.
Der etwaige Nutzen einer längeren Laufzeit von Atomkraftwerken für die Sicherung der Stromversorgung steht den damit verbundenen Risiken gegenüber. Die Politik trifft ihre Entscheidung auf Basis einer Abwägung unter Heranziehung aller Sicherheitsaspekte. Bei den Risiken geht es nicht nur um die Frage der unmittelbaren Sicherheit der Atomkraftwerke, sondern auch um gesellschaftliche Risiken. Treffen muss diese Entscheidung letztendlich der Gesetzgeber, also der Deutsche Bundestag.
Wer definiert die Sicherheitsanforderungen für deutsche AKW und wer kontrolliert die Einhaltung?Einklappen / Ausklappen
Atomkraft ist eine Hochrisikotechnologie. Jeder Staat und dessen Gesellschaft müssen für sich entscheiden, ob sie für den Vorteil der Energieerzeugung die Risiken eines katastrophalen Unfalls tragen wollen. Der gesellschaftliche Aushandlungsprozess über diese Grundsatzfrage findet im Parlament und auf Gesetzgebungsebene statt. Hierbei spielen gesellschaftspolitische, aber auch ethische, rechtliche und technische Fragestellungen eine Rolle.
Der Gesetzgeber muss bei der gesetzlichen Regelung des Betriebs von Atomkraftwerken höchste Sicherheitsmaßstäbe anlegen. Welche technischen Sicherheitskriterien von den Anlagen konkret zu erfüllen sind und was sie im Notfall leisten und aushalten müssen, wird auf dieser Grundlage von den Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden auf Bund und Länderebene weiter im Detail bestimmt. Am Ende stehen konkrete technische Vorgaben, die vom Betreiber eines Atomkraftwerks umzusetzen und einzuhalten sind.
Technische Sachverständige unterstützen die Aufsichtsbehörden bei der Überwachung des Betreibers. Sie prüfen technisch, ob die konkreten Vorgaben der Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden durch den Betreiber umgesetzt werden. Da das Sicherheitsniveau von Atomkraftwerken mit Blick auf den Stand von Wissenschaft und Technik kontinuierlich erhöht werden muss, müssen auch Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden ihre Anforderungen und Vorgaben an den Betreiber immer wieder anpassen.
Welche Konsequenzen hätte ein Wiedereinstieg in die Atomenergie und der Bau von neu- oder weiterentwickelten Reaktoren für die Sicherheit?Einklappen / Ausklappen
Ein langfristiger Wiedereinstieg in die Atomenergienutzung hätte eine Reihe von Konsequenzen: Würde auf laufende Reaktoren zurückgegriffen werden, würden sich neue sicherheitstechnische Herausforderungen durch die zunehmende Alterung der Anlagen ergeben, z.B. durch Materialermüdung, neue Bedrohungslagen oder veraltete Sicherheitskonzepte. Diese Defizite wären nur sehr begrenzt durch Nachrüstungen vermeidbar. Ein sinkendes Sicherheitsniveau wäre wahrscheinlich.
Wenn es um den Neubau von Anlagen gehen würde, wären zunächst massive staatliche Subventionen erforderlich - dies zeigen die Erfahrungen in europäischen Nachbarstaaten. Weiterhin demonstrieren diese Erfahrungen, dass zwischen Entscheidung zum Neubau und erster Stromproduktion mind. 10 bis 15 Jahre vergehen würden. Auf absehbare Zeit hätten sie also keinen Effekt für die deutsche Strommarktsituation.
Außerdem ergeben sich bei zahlreichen vorgeschlagenen Reaktordesigns neuartige Sicherheitsrisiken. Das BASE hat diese z.B. in Bezug auf die sogenannten Small Modular Reactors (SMR) untersuchen lassen ("Small Modular Reactors - Was ist von den neuen Reaktorkonzepten zu erwarten?").
Nicht zuletzt hätte der Wiedereinstieg die langfristige Produktion von hochradioaktiven Abfällen zur Folge, an denen auch neuartige Reaktortechnologien nichts ändern würden. Seit dem Einstieg in die Atomenergie in den 1960er Jahren wurde die Endlagerfrage bisher nicht gelöst. Bis zum Jahresende werden 1900 Behälter mit 27.000 Kubikmetern hochradioaktiven Abfällen über weitere Jahrzehnte oberirdisch gelagert werden müssen. Ein Wiedereinstieg in die Atomenergie würde diese Menge weiter vergrößern. Sollten sogenannte neuartige Reaktortechnologien genutzt werden, würde sich ggf. auch die Zusammensetzung des Abfalls ändern, so dass neue Endlagerkonzepte benötigt würden.
Wer haftet im Schadensfall? Einklappen / Ausklappen
Laut Atomgesetz müssen die Kraftwerksbetreiber für Schäden in Höhe von bis zu 2,5 Milliarden Euro selbst haften, alles darüber übernimmt der Bund. Diese Haftungspflicht würde zum 31.12.2022 enden. Bei der Einsatzreserve würde laut BMWK der Betrieb der Anlagen wie bisher uneingeschränkt in der atomrechtlichen Verantwortung und Haftung der Anlagenbetreiber (Betreiberrisiko) ohne Einschränkungen bei der Sicherheit des Betriebs der Anlagen erfolgen.
Stand: 11.11.2022